Die
Nähe der Ellerer Eisenbahnbrücke war
für Neef recht verhängnisvoll. Die
Alliierten wollten mit der Zerstörung
der Brücke erreichen, dass die Deutsche
Westfront nicht mehr mit Nachschub
versorgt werden kann. So war sie ab dem
Sommer 1944 immer häufiger das Ziel
feindlicher Bombenangriffe. Dabei wurde
Neef stark in Mitleidenschaft gezogen.
Viele Bomben fielen nämlich auch auf den
Ort und auf das nahe Umfeld. Ganz
besonders litt unter den Bombardements
das Unterdorf. Der Anflug feindlicher
Flieger wurde durch ein Sirenengeheul
angekündigt, und die Leute flüchteten
in größter Eile in den erstbesten
Luftschutzkeller. Diese waren durch eine
deutlich sichtbare Aufschrift
LSK erkennbar gemacht.
Da das Schulhaus keinen sicheren
Schutz gegen Bomben bot, wurde die
Schuljugend bei jedem Fliegeralarm sofort
nach Hause entlassen. Im Sommer 1944
musste der Unterricht sehr häufig
ausfallen. Von Monat zu Monat mehrten
sich die Einflüge der Bomber. Sie
erschienen oft zweimal am Tage und
versetzten die Leute in größten
Schrecken. Durch einen Erlass des
Reichsunterrichtsministers wurde nun die
Schule im September 1944 auf unbekannte
Zeit geschlossen.
Im Winter 1944 / 45 erfolgte dann der
Großangriff der feindlichen Flieger auf
alle Eisenbahnverkehrsanlagen der
hiesigen Gegend. Die Ellerer Brücke,
bisher noch betriebsfähig geblieben,
wurde nun verstärkt angegriffen. Sie
blieb immer noch eingleisig befahrbar.
Auf dem Ellerer Bahnhof stand ein Bauzug.
Die Brücke sollte repariert werden. Als
jedoch die Bullayer Bahnbrücke völlig
zerstört wurde, war der gesamte
Bahnverkehr unterbrochen. Der Bauzug fuhr
zum Schutz in den Neefer Tunnel, und die
Bauarbeiter ließen ihn dort verwahrlost
stehen. Dies nahmen etliche Neefer
dankbar zur Kenntnis und wohnten dort
zeitweise. Andere Bürger hatten aus
Angst vor den Bombardements im Bachtal
Holzhütten gebaut, worin sie mit der
ganzen Familien zeitweise verweilten.
Auch in der Erzgrube suchten Bewohner
Schutz.
Immer wieder wurde von der
Wunderwaffe gesprochen, die
Hitler noch parat haben sollte und die
letztlich zum Sieg führen würde. Damit
war die spätere Atombombe gemeint, die
allerdings noch nicht einsatzbereit war.
Die Raketen, es waren die so genannten
V1- und V2-Geschosse, gab es schon und
erreichten England. Die Abschussbasen
standen in unmittelbarer Nähe von uns in
der Eifel. Eine fehlgeleitete V1
detonierte mitten auf dem Hochkessel. Er
soll seither 2 m weniger hoch sein.
Die Fenster und Türen des Schulhauses
wurden zum Teil zertrümmert. Die Macht
des Luftdruckes wirkte sich im untersten
Stock besonders stark aus. Hier waren
sogar die Fensterrahmen aus dem Mauerwerk
gerissen. Auch in unserer Kirche und in
den Wohnhäusern des Dorfes gingen viele
Fensterscheiben in Scherben. Die
furchtbare Zerstörung begann gerade am
Tage vor Christabend. Das Weihnachtsfest
1944 war daher für unser Dorf recht
traurig.
Ich selbst kann mich, ich war 6 ½
Jahr alt, noch gut daran erinnern, dass
wir zum Heiligabend schöne
Vorbereitungen zum Fest getroffen hatten.
Vater, der im Westwall eingesetzt und auf
Urlaub zu Hause war, meinte noch, dass
der Feind mit Sicherheit am Heiligabend
nicht bombardieren würde, die Alliierten
seien doch schließlich auch Christen. So
wohnten wir auch an diesem Tag nicht in
der Hütte im Bachtal. Der Tannenbaum war
so gut es ging geschmückt. Kerzen waren
keine mehr da. Die Bescherung, die zwar
nach heutiger Vorstellung sehr mager
ausfiel, war gerade im Gange, als
urplötzlich die Sirene heulte und wir in
den Keller stürzten. Auf dem Weg über
die Außentreppe dahin schlug schon die
erste Bombe in ziemlicher Nähe ein. Auch
die Nachbarsleute kamen in panischer Eile
angelaufen, und wir erlebten auf
Heiligabend einen furchtbaren
Bombenangriff. Wir alle beteten im
Keller, der einige Male von den
Einschlägen richtig zitterte und bebte.
Als der Angriff vorbei war, gingen wir
wieder hoch. Der Schornstein unseres
Hauses hatte das Dach der Terrasse
durchschlagen. Die Fensterscheiben waren
alle zersplittert. Der Tannenbaum lag
quer in der Stube. Vater dichtete in
aller Eile die Fenster mit Pappe ab,
stellte den Tannenbaum wieder auf, nahm
meine Schwester und mich auf den Schoß
und sang mit uns mit feuchten Augen
Weihnachtslieder. Diese Weihnacht werde
ich mein Leben lang nicht vergessen.
Durch die Fliegerangriffe wurde
insgesamt ein Drittel unseres Ortes in
ein Trümmerfeld verwandelt. 52 Häuser
wurden völlig zerstört und viele schwer
oder leichter beschädigt. Sehr
bedauerlich ist es, dass dabei auch sechs
Menschenleben zu beklagen waren. Die
Toten wurden, da der Gang zum Friedhof
mit Lebensgefahr verbunden war, an der
Kirche beerdigt und nach Einstellung der
Feindseligkeiten auf den Petersberg
umgebettet.
Wir hatten einen alten
Volksempfänger. Vater hörte immer
schwarz die Nachrichten, die
ein englischer Sender brachte. Dies war
streng verboten. Darauf stand sogar die
Todesstrafe. Vater stellte ziemlich
deutlich fest, dass der Krieg verloren
war. Er war sowieso ein starker
Hitler-Gegner und stand wegen seiner
Einstellung sogar vor Gericht. Man hatte
ihn angezeigt, weil er in unserem
Kolonialwarenladen die Kunden nicht mit
Heil Hitler begrüßte und
die Hitlerfahne nicht hisste, sagte auch
öffentlich, dass Hitler verrückt und
größenwahnsinnig sei und der Krieg nie
und nimmer zu gewinnen wäre. Er wurde
nicht verurteil grüßte aber von
nun an im Sinne der Zeit, hisste die
Hitlerfahne und hielt sich mit seinen
staatsfeindlichen
Äußerungen zurück. Vater hatte
einen gnädigen und verständnisvollen
Richter vorgefunden. Er stand übrigens
mit seiner Meinung nicht alleine. Auch
seine Gesinnungsfreunde hielten sich nach
dem Gerichtsvorgang mit ihrer Meinung in
der Öffentlichkeit zurück. Man wusste
sehr wohl, dass es Konzentrationslager
gab. Vater ahnte auch, was mit den Juden
geschah.
Recht oft läutete die Totenglocke.
Dann liefen die Leute auf die Straße.
Wer ist es? fragte man
aufgeregt. Schon wieder war ein Neefer
Soldat an der Front gefallen.
Schreckliche und ergreifende Szenen
spielten sich ab. Insgesamt ließen 42
junge Neefer Männer im Krieg ihr Leben.
18 Soldaten waren vermisst und wurden
später als tot erklärt.
Zu Anfang des Jahres 1945 traten
tiefgreifende Änderungen in den
Kriegsereignissen hier im Westen ein. Die
Kampfhandlungen fanden nun auf deutschem
Boden statt. Die Bevölkerung aus dem
Frontgebiet war aus dem gefährlichen
Gebiet evakuiert worden. Zahlreiche
Flüchtlinge aus Trier waren von unseren
Dorfbewohnern gastlich aufgenommen
worden. Wochenlang hörte man das
Schießen der Artillerie. Mit jedem Tage
näherte sich der Feind. Viel
zurückflutendes Militär passierte
unseren Ort und war vorübergehend auch
in den Schulräumen untergebracht. Das
soldatische Treiben war unserer Schule
gerade nicht dienlich. Viele Lehrmittel,
Bücher, Listen und Akten gerieten dabei
in Verlust. Tag und Nacht durchquerten
deutsche Soldaten Neef und nahmen die
Richtung Grenderich. Eines Tages sprengte
eine Gruppe die von den Bomben noch nicht
restlos zerstörte Ellerer Brücke und
auch den Neefer Tunnel.
Aber damit ließ sich das Vordringen
des Feindes nicht aufhalten. Anfang März
lag unser Dorf bereits im Bereich der
Kämpfe. Zur Verteidigung von Neef waren
ungefähr 20 Soldaten zurückgelassen
worden. Mit der wenigen Munition, die
ihnen noch zur Verfügung stand,
kämpften sie gegen die Übermacht der
Amerikaner auf der linken Moselseite. Wie
vorher vor den Bomben, suchte nun die
Bevölkerung vor dem Beschuss der
Artillerie und der Granatwerfer erneut
Schutz in ihren Kellern. Unsere Soldaten
verschanzten sich an verschiedenen
Stellen nahe des Dorfes und auf dem
Petersberg. Leider ließen bei diesen
Kämpfen noch Soldaten ihr Leben.
Glücklicherweise war die Zahl der
Soldaten, die getötet wurden, nicht
erheblich. Die Peterskapelle war stark
mitgenommen. Aber der künstlerisch
wertvolle Altar derselben war unversehrt
geblieben.
Nach drei Tagen wurde der damalige
Gemeindevorsteher von einem Unterhändler
der Amerikaner aufgefordert, die weiße
Fahne auf dem Kirchturm zu hissen,
anderenfalls würde das Dorf vollständig
zerstört. Unter dem Druck der vielfachen
Übermacht zogen sich die meisten
deutschen Soldaten, die noch hier waren,
ins nahe Hunsrückdorf Grenderich
zurück. Doch einige ganz fanatische
Kämpfer wollten absolut nicht aufgeben.
Sie glaubten tatsächlich immer noch an
den Endsieg. Man redete diesen
Unverbesserlichen zu, bis sie endlich
nachgaben, verlangten aber Fahrräder zur
schnellen Flucht durch das Bachtal in den
Hunsrück. Dies geschah so, und auch
Vater stellte ein Fahrrad zur Verfügung.
Umgehend wurde die weiße Fahne gehisst
und Neef wurde von den Amerikanern
besetzt. Die toten deutschen Soldaten,
die in den Kämpfen um unser Dorf ihr
Leben gelassen hatten, fanden an unserer
Kirche ihre letzte Ruhestätte. Die Toten
wurden auf Karren herangebracht und lagen
auf diesen fast wie Holzscheite
ein scheußliches Bild.
Amerikanische Kampftruppen zogen nun
durch Neef, um die Verfolgung unseres
Heeres auf dem Rückzug fortzusetzen. Ein
Teil der feindlichen Nachhut besetzte
viele Häuser des Oberdorfes und auch die
Schule. Die Leute der beschlagnahmten
Häuser mussten für einige Wochen ihre
Wohnungen räumen. Sie wurden von den
übrigen Dorfbewohnern beherbergt bis
ihre Wohnungen wieder freigegeben waren.
Die Schule glich in dieser Zeit einer
Kaserne. Nach dem Abzug der Soldaten
säuberte die Oberklasse unter Aufsicht
der Lehrerin die drei Schulräume, die in
Zukunft wieder friedlichen Zwecken dienen
sollte.
Am achten Mai 1945 fand der
langjährige, blutige Krieg sein Ende.
Ich weiß noch, wie die letzte übrig
gebliebene Glocke läutete und zum Besuch
in der Kirche aufrief. Die anderen
Glocken waren schon lange von einem
Spezialtrupp abgenommen und zu einem
Hochofen gebracht worden. Aus dem
gewonnenen Stahl wurden Panzer und
sicherlich auch Bomben hergestellt. Meine
Mutter und meine Großmutter nahmen mich
an die Hand, und wir gingen in die
Kirche. Dort war kein Fenster mehr ganz,
und es sah insgesamt alles sehr chaotisch
aus. Unser Pfarrer Rauber kam, sprach vor
allen in der Kirche versammelten Leute
rührende Worte. Wir dankten Gott, dass
der scheußliche Krieg endlich vorbei war
und dass wir noch lebten. Dann sangen wir
voller Inbrunst Großer Gott wir
loben dich, wobei viele Frauen
weinten. Nun wollten wir die Zukunft mit
Gottvertrauen angehen. Zum Schluss
beteten wir noch für alle, die im Krieg
umgekommen waren und baten bei Gott auch
dafür, dass die Soldaten die in
Kriegsgefangenschaft gekommen waren, gut
behandelt werden um schon bald wieder in
ihren Familien verweilen zu können.
Die Alliierten besetzten ganz
Deutschland und teilten es in
Besatzungszonen ein. Das Moselgebiet,
also auch Neef, gehörte zur
französischen Zone.
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Aufmarsch der SA
in Neef |
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Die zerstörte
Brücke von Bullay |
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Das
Kriegerdenkmal in Neef |
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Die zerstörte
Ellerer Eisenbahnbrücke |
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